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Editorial  
               
 

20.5.2010
Ver-Dichtung und Wahrheit
von Frank Mankyboddle

Verdichtung = ökologisch. Dieses Dogma beglückt nicht nur Baulöwen und Miethaie, sondern treibt auch professionelle Stadtentwicklungsscharlatane buchstäblich in finstere Sackgassen. Dass eine Vermehrung der Einwohner pro Quadratkilometer, in einer schon jetzt hoch verdichteten Innenstadt, wirklich ökologisch ist, darf getrost als Unfug bezeichnet werden. Denn die negativen Nebenwirkungen sind augenfällig. CARambolagen fordert deshalb, dass die Ökologie der (innerstädtischen) Verdichtung mit konkreten Zahlen belegt wird und Obergrenzen festgelegt werden. Die Parameter einer Studie dürften jedoch schwer festzulegen sein. Denn welches Biotop ist schützenswert? Nur das der Frösche am Stadtrand oder auch der Kiez der Menschen?

Für Hühner, Schweine und Rinder gibt es genaue Vorschriften zur Größe der Auslauffläche, die streng eingehalten werden müssen, damit diese als „glücklich“ bezeichnet werden dürfen. Wieviel Auslauf eine Stadtbewohnerin benötigt, um als „glücklich“ qualifiziert zu werden, bleibt vorerst dem Augenmaß von Ausschussmitgliedern und anderen Dilettanten der öffentlichen Stadtplanung vorbehalten. Kriterien sind hier nicht so sehr die Menschenfreundlichkeit oder die Wissenschaft, sondern die politische „Wendigkeit“ im Alltagsgeschäft der „Zählgemeinschaften“ [1] und bei der Interpretation der Unterschiede zwischen Korruption und Ideologie („Mövenpick-Parteien“ etc.)

Solche Wendigkeit ermutigte den Grünen Abgeordneten der BVV Mitte, Bern Schepke, während einer hitzigen Debatte zum Mauerpark, zu der geistreichen Aussage: „Wer’s Grün will, muss an den Stadtrand ziehen.“
Seine Parteigenossin Franzsika-Eichstädt-Bohlig MdA weiss da deutlich differenzierter, plausibler und ganz konträr zu argumentieren: „Häufig wird eine städtische Dichte gefordert, die keine Rücksicht nimmt auf die privaten Freiflächenwünsche einerseits, auf den Bedarf der Städte an Durchgrünung und Durchlüftung andererseits. Wer die Menschen vom Wohnen in der Stadt überzeugen will, muss ihnen aber auch hier Freiflächen, Grün und Aufenthaltsqualität bieten. Wer das missachtet, darf sich nicht wundern, wenn die Nachfrage nach den grünen Vororten wieder steigt. Technisch können wir heute Dachbegrünung und Terrassen aller Art bauen. Planerisch geht dies aber nur mit einer angemessenen Dichte, nicht mit Überverdichtung – auch wenn Investoren immer die maximale Ausnutzung ihrer Grundstücke fordern!“ [2]

Der Zersiedelung Ostwestfalens (und anderer Provinzen) muss dringend Einhalt geboten werden! Und eine Re-urbanisierung seiner traditionellen Zentren hätte bedeutende ökologische Nebenwirkungen. Das Gleiche gilt auch für das Ruhrgebiet u.v.a. Aber, dass das schon hoch verdichtete Berlin seine Ökologie durch die Verringerung der Abstandsflächen von 0,8H auf 0,4H, oder durch eine Bebauung designierter Grünflächen (z.B. Mauerpark), verbessert, nachdem bereits zahllose kriegsbedingte Bebauungslücken seit der Wende die (Wieder)-Verdichtung erheblich vorangetrieben haben, behauptet nur wer davon profitiert, oder wer der Verwertungsideologie der Profiteure auf den Leim gegangen ist. Wissenschaftlichen Rückhalt gibt es für diese Behauptungen jedenfalls nicht.

„Die Dosis macht das Gift“, auch bei der Verdichtung, aber Augenmaß ist kein Attribut der Gier. Die Verinnerlichung der „marktwirtschaftlichen“ Gier-Ideologie reicht immer noch weit, auch bis in die Grüne Politik -  von Sozial-, Christ- und Freidemokraten ganz zu schweigen. Die Schlauen verkaufen ihre Profit-Gier, als dem Wohl aller dienend: Glauben tun das dann die Dummen.

 

[1] - Ad hoc „Koalitionen“ die auch als Verlobungen für künftige „echte“ Koalitionen im Senat verstanden werden können, auch wenn sie in den Berliner Bezirksverordnetenversammlungen nur eine untergeordnete Bedeutung spielen, da die Ämter der Stadträte nach Proporz verteilt werden. Eine fragwürdige Praxis, da sie dazu neigt der „Opposition“ (wer ist das?) den Elan zum opponieren zu nehmen.

[2] - 15-06-07  „STADT – HAUS – MENSCH“  Einführungsbeitrag zum Ökobaukongress der grünen Bundestagsfraktion am 15./16.6.2007

In Ermangelung präziser wissenschaftlicher Literatur zum Thema „Ökologie der Verdichtung der Innenstädte“, weitere Zitate der Architektin und Städtebauexpertin Franziska Eichstädt-Bohlig zum Thema:

„Um die Hoffnungen der leidenschaftlichen Urbanisten gleich zu dämpfen: Die Trends Zurück in die Stadt sind zwar wahrnehmbar, aber immer noch sind drei Viertel aller Neubauten Eigenheime. Der Trend der Stadtflucht ist etwas weniger stark ausgeprägt als noch vor 10 Jahren. Aber natürlich ist er immer noch der dominierende Trend. Zumal die Landflucht ihrerseits nicht in die Stadt sondern ebenfalls in die periferen Siedlungsränder der Städte führt.“

„Freiflächen und intensives Grün: Häufig wird eine städtische Dichte gefordert, die keine Rücksicht nimmt auf die privaten Freiflächenwünsche einerseits, auf den Bedarf der Städte an Durchgrünung und Durchlüftung andererseits. Wer die Menschen vom Wohnen in der Stadt überzeugen will, muss ihnen aber auch hier Freiflächen, Grün und Aufenthaltsqualität bieten. Wer das missachtet, darf sich nicht wundern, wenn die Nachfrage nach den grünen Vororten wieder steigt. Technisch können wir heute Dachbegrünung und Terrassen aller Art bauen. Planerisch geht dies aber nur mit einer angemessenen Dichte, nicht mit Überverdichtung – auch wenn Investoren immer die maximale Ausnutzung ihrer Grundstücke fordern!“

15-06-07  „STADT – HAUS – MENSCH“  Einführungsbeitrag zum Ökobaukongress der grünen Bundestagsfraktion am 15./16.6.2007

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„Wir können durch Überverdichtung in den Städten kein familiengerechtes Wohnen schaffen. Von daher ist sowohl die planerische als auch die stadtentwicklungspolitische Konzeption, Idee und Fantasie gefragt, in dieser Form städtische Wohnungen familien- und kindergerecht zu entwickeln und auch das Wohnumfeld und die Verkehrspolitik und Verkehrsplanung entsprechend zu entwickeln.“

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Februar 2001

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…“Die Städte und die städtische Wohnungswirtschaft selbst müssen prüfen, was zu tun ist, um die Stadt als Wohnstandort wieder attraktiv zu machen. Weniger Verkehr, Lärm und
Unfallgefahren, mehr Grün und Erholung im städtischen Bereich sind ebenso gefragt wie
mehr private Freiflächen und wohnungsnahe Verfügungsräume. Nur wenn die Städte die
Wohnwünsche, die im Eigenheim gesucht werden, ernst nehmen und zumindest zu Teilen in
städtischen Wohnformen und in guter Wohnumgebung umsetzen, können sie die Konkurrenz mit dem Umland langfristig wieder zugunsten des Wohnens in der Stadt umdrehen.“ „

STADTUMBAU UND SOZIALE STADT – ENTWICKLUNGSTENDENZEN AUF DEM WOHNUNGSMARKT“ -  Franziska Eichstädt – Bohlig MdB – (2002)

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„Um die Wohn- und Lebensqualität zu verbessern, sind private und öffentliche Grün- und Freiflächen im Wohnumfeld auszubauen, zu qualifizieren, zu sichern und zu vernetzen. Zudem
ist die Aufenthaltsqualität vorhandener wohnungsnaher Freiflächen zu verbessern. Dort wo die Stadt bereits hoch verdichtet ist, darf nicht jede noch freie Fläche als Baulücke betrachtet und bebaut werden. Verkehrsüberlastung, Lärm und Unfallgefahren sind abzubauen.“

Bundesarbeitsgemeinschaft Planen, Bauen, Wohnen von Bündnis 90/Die Grünen - 1.12.2002