Die Vorherrschaft des Autos beenden
 
 
Global denken - lokal handeln
 
Editorial  
               
 
1.11.2011

Schwabenkanaken ohne Auto am Gethsemaneplatz
Der neue deutsche Befindlichkeitsjournalismus und eines seiner Einsatzgebiete

von Frank Mankyboddle

Eine trübe Facette bereichert seit geraumer Zeit den Devolutionsprozess des deutschen Journalismus: der Befindlichkeitsjournalismus. Er ist der politische Arm des Lifestyle-Journalismus und findet gegenwärtig in Berlin eine besonders virulente Vertreterin in Anja Maier. Mit unsäglich geschwätzigen, langweiligen und gequält „authentischen“ Milieuporträts, wie z.B. "Die Weiber denken, sie wären besser"[1], stilisiert sie in 17. Runde die Neurosen „Spätgebärender“ „Latte-Macchiato-Mamis“ zu einem unglaublich packenden „Kampf der Kulturen“ mit der wahren, echten Ost-Seele einer Café-Betreiberin (sic!), die als einzige vor lauter Milchschaum noch einen klaren unverstellten Blick auf das echte Leben bewahrt.  Mit diesen sensationellen Neuigkeiten über ihre „alte Heimat“, den neuen Prenzlauer Berg, schläfert Maier gegenwärtig ausgerechnet taz-LeserInnen ein.

Mit ungebremstem Elan wirft sie sich in die Klischeepresse, oft mit warnenden Hinweisen auf die Lehren die sie aus ihrer Ost-Sozialisation gezogen hat. In dem Kapitel „Mein Platz, dein Platz oder Mehr Raum für Schwabenkinder“, aus ihrem neuen Buch „Lassen sie mich durch, ich bin Mutter“[2], hält sie, längst selbst Kleinstädterin, dem „Szenebezirk“ der „Weltstadt“ den kleinstädtischen Spiegel vor. Da viele Ost-Berliner Ureinwohner, wie auch wohl Anja Maier, sich seit geraumer Zeit daran zu gewöhnen bemühen mussten, dass Begriffe wie „Neger“, „Kanake“ und „Fidschi“ bei den westlichen Kolonisatoren als „rassistisch“ gelten und somit quasi unter Verbot gestellt sind, haben sie sich in den letzten Jahren als Ersatz auf „Schwaben“ geeinigt. So bewaffnet kann die Berliner Provinzseele nun endlich umso hemmungsloser gegen alles Fremde und Neue in der ostdeutschen Weltmetropole vorgehen. Und irgendwen muss man ja hassen…

Und so wird der Schwabenhass vor jeden politischen Karren gespannt, der die jeweilige Befindlichkeit gerade berührt. Wie schon Jochen-Martin Gutsch meint auch Anja Maier sich z.B. in die Debatte um den Gethsemaneplatz einschalten zu müssen: Laut Verlagsbiographie angeblich selbst “am Ende einer verkehrsberuhigten Sackgasse in Brandenburg“ zu Hause, gesteht sie der, von ihr in einem heroisch-investigativen, dreistündigen Kaffeekränzchen ausgehorchten Bürgerinitiative, für den Raum um die Gethsemanekirche, keine andere Nutzung zu, als die eines Parkplatzes.

Maier gehört, wie Gutsch, zu den Kolumnisten, die sich gewissermaßen als Quereinsteiger in die Urbanitäts-Debatte einbringen, um mit völliger Ahnungslosigkeit dann auf Kiezebene die Debatte zu beeinflussen. Es fehlt ihnen offenbar nicht nur die Ahnung von den wirklichen Anliegen, der von ihnen geschmähten und misrepräsentierten Bürgerinitiativen vor Ort, sondern auch das Gespür und vor allem das Wissen darüber, was Urbanität eigentlich ausmacht. Mit diesem Unwissen leisten sie maßgeblich einem zentralen Vorurteil Vorschub, nämlich, dass die Stadt, und vor allem die Innenstadt, der natürliche Aufenthaltsort für 23 Stunden am Tag stehende Automobile sei. Aber jede Urbanistik- und Geographiestudentin im ersten Semester weiß, dass dieser Glaube irriger nicht sein könnte.

Der Innenstadtraum ist seit Jahrtausenden ein Raum für Fußgänger und seit jüngerer Zeit für öffentliche Verkehrsmittel. Pferde und Wagen dienten dort der Versorgung mit Gütern und nicht dem Transport von Individuen, der eine absolute Ausnahme in großen Teilen der Stadt darstellte, und wo er überhand zu nehmen drohte, haben schon die alten Römer, Konkret Julius Cäsar mit seiner „Lex Iulia municipalis“, in ihren Städten weit reichende Fahrverbote, sogar für Güterfahrzeuge, erlassen [3]. In Venedig wiederum galt seit dem 15. Jahrhundert ein endgültiges Reitverbot.

Es mag für die journalistische Hauptstadtavantgarde des kleinbürgerlichen Automobilismus schwer zu verstehen sein, weil sie die Gewohnheiten von ein paar Jahrzehnten für das Maß der Dinge halten, so wie es für Spießer normal ist, aber es gibt nichts Anti-Urbaneres, als das Auto als Massenverkehrsmittel. Wer auf das allzeit vor der eigenen Tür geparkte Auto besteht, der ist tatsächlich mit dem Spruch „Zieh doch an den Stadtrand“ (respektive ganz auf’s Land) SELBST richtig beraten, anstatt ihn Fußgängern und Radfahrern zu erteilen. Dieser Rat ist sowohl historisch, als auch aktuell, sinnfällig, denn dort, wo große Entfernungen zu überbrücken sind, ist ein Wagen die logischere Wahl der Fortbewegung, als dort, wo die Entfernungen kurz sind.

Von spezieller Eigenart ist das rigorose Engagement FÜR das Auto, das viele Menschen ostdeutscher Herkunft an den Tag legen, ob es Lokalpolitiker wie Wolfram Kempe (Die Linke) sind, die selbst nicht einmal eine Fahrerlaubnis haben, oder eben unsere schon erwähnten Journalisten. Zu beobachten ist das Verharren bei Problemen und Errungenschaften der „Welt von Gestern“. Einmal Erkämpftes gibt man ungern wieder Preis, auch wenn es uns schadet. Der Trabbi-Spar-Reflex ist ein tiefes Trauma des Ostens. Noch immer wird von vielen das eigene Auto als Garant der Freiheit gesehen, während es in der Realität längst eine Bedrohung derselben darstellt, indem es in der Masse, neben dem exzessiven Fleischkonsum, die größte Destruktionsmaschine für natürliche Ressourcen, Umwelt und Menschen darstellt.

Die Zahl der unmittelbar durch den Autoverkehr getöteten Menschen übersteigt weltweit JEDES JAHR eine Million bei weitem. Diese und andere offenbar vertretbare Kollateralschäden des Wohlstands und die damit einhergehende verheerende Vernichtung von Ressourcen und Umwelt, findet auf keiner linken Pazifistentagung Beachtung. Lediglich Autoren wie Robert Kurz sprechen vom „unerklärten dritten Weltkrieg auf den Straßen der Welt“[4]. Aber auch in Ostberlin, ja hier in Pankow, gab und gibt es weitsichtige Dissidenten der gesamtdeutschen Automanie. So z.B. der Künstler Manfred Butzmann der schon lange vor der Wende mit autokritischen Plakaten und Postkarten an die Öffentlichkeit trat.

   Manfred Butzmann – „Viele Grüße aus Pankow“ - Postkarte 1979

Noch einmal zurück zu unserer Kolumnistin für Kleinkariertes, Anja Maier: Probieren sie es selbst aus. Versuchen sie "Die Weiber denken, sie wären besser"[5] von Anfang bis Ende zu lesen und schreiben Sie uns ihren Erlebnisbericht. Ihr  Buch[6] wiederum, wird im intellektuellen Bastei Lübbe Verlag[7], der mit seinen berühmten Arzt-Roman-Heften und Bodice-Rippern um die Pole-Position im deutschen Buchmarkt kämpft, angemessener Weise für 8,99 Euro verscherbelt. Viel Vergnügen!

[1] www.taz.de/!79576

[2]„Lassen sie mich durch, ich bin Mutter“
  Bastei Lübbe Verlag 2011, Taschenbuch, 254 Seiten, ISBN: 978-3-404-60299-5

[3] www.tagesspiegel.de/politik/geschichte/fahrverbot-im-alten-rom/1129938.html
Siehe auch: Christiane Kunst - "Leben und Wohnen in der römischen Stadt". Gebundene Ausgabe: 167 Seiten.
Wissenschaftliche Buchgesellschaft; überarb. Aufl. 2008. (1. Mai 2008)  Sprache: Deutsch ISBN-10: 3534162854 

[4] Robert Kurz: „Schwarzbuch Kapitalismus“ S. 641, Taschenbuch, Ullstein Verlag 1999

[5] www.taz.de/!79576

[6] Siehe [2]

[7] www.luebbe.de